Vergütungspflicht bei unbezahltem Praktikum

BAG, Urteil v. 10.02.2015 – 9 AZR 289/13 –

Wird ein unentgeltliches Praktikum vereinbart, kann gleichwohl ein Anspruch auf Vergütung bestehen, wenn ein Praktikant höherwertige Dienste verrichtet als solche, die er nach dem vereinbarten Inhalt des Praktikums zu erbringen hat.

Die Entscheidung

Die Klägerin absolvierte bei der Beklagten im Rahmen ihrer Ausbildung zur Kinder- und Jugendpsychotherapeutin ein einjähriges, unentgeltliches Praktikum zur Erbringung der gem. § 2 Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (KJPsychTh-APrV) erforderlichen praktischen Tätigkeit. Die Klägerin wurde an vier Tagen in der Woche jeweils zumindest von 9:00 Uhr bis 17:30 Uhr auf der Station 1 der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie eingesetzt. Die Klägerin erledigte regelmäßig Testungen und therapeutische Tätigkeiten ohne Überwachung oder Beaufsichtigung seitens der Beklagten eigenständig und in wirtschaftlich verwertbarer Qualität. Die Auswertung sowie die Interpretation der bei den Testungen gewonnenen Ergebnisse nahm die Klägerin ebenfalls selbstständig und ohne Aufsicht vor. Die von ihr gefertigten Berichte waren anschließend die Grundlage für die weitere Arbeit auf der Station. Die Beklagte rechnete die Leistungen der Klägerin gegenüber der Krankenkasse ab ohne offenzulegen, dass die Leistungen von einer unentgeltlich tätigen Praktikantin erbracht worden waren. In den letzten 8 Monaten führte die Klägerin zudem bei jeweils zumindest einem ihr fest zugewiesenen Patienten stetig Einzeltherapiestunden selbstständig und ohne Aufsicht oder individuelle Nachbesprechung durch. Zudem vertrat sie fest angestellte Therapeutinnen in mehreren Fällen. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit eine übliche Arbeitnehmertätigkeit gewesen und entsprechend zu vergüten sei.

Dieser Auffassung schloss sich das höchste deutsche Arbeitsgericht an und gab – wie auch bereits das Landesarbeitsgericht – der Zahlungsklage statt. Die Erfurter Richter stellten klar, dass auch bei der Vereinbarung eines unentgeltlichen Praktikums ein Anspruch auf Vergütung in entsprechender Anwendung von § 612 Abs. 1 BGB bestehen kann. Dies gelte selbst dann, wenn – wie im vorliegenden Fall durch § 7 des Psychotherapeutengesetzes (PsychThG) – die Anwendung des Berufsbildungsgesetzes und damit der Anspruch auf angemessene Vergütung nach § 26 i.V.m. § 17 Abs. 1 S. 1 BBiG ausgeschlossen ist. Verrichtete ein Praktikant höherwertige Dienste als die, die er nach dem vereinbarten Inhalt des Praktikums zu erbringen habe, sei dies von der Vergütungsvereinbarung zum Praktikum nicht mehr gedeckt. Dies war nach Ansicht des BAG hier der Fall; die Klägerin habe Leistungen erbracht, die sie im Rahmen des Praktikums nicht schuldete und die nur gegen Lohn zu erwarten seien.

Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung ist von erheblicher praktischer Bedeutung. Das BAG hat erneut deutlich gezeigt, dass nicht die Bezeichnung des Vertrages als „Praktikumsvertrag“ entscheidend ist, sondern dessen tatsächliche praktische Durchführung. Darüber hinaus hat es klar gestellt, dass selbst bei einem unentgeltlichen Pflichtpraktikum eine angemessene Vergütung geschuldet sein kann, wenn der Praktikant Leistungen erbringt, die von der in der Ausbildungsordnung vorgeschriebenen Art und Weise erheblich abweichen. In diesem Fall scheidet dann auch eine Berufung auf § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Mindestlohngesetz (MiLoG) aus, so dass mindestens der gesetzliche Mindestlohn zu zahlen ist. Arbeitgebern ist daher anzuraten, darauf zu achten, dass Praktikanten im Rahmen von Pflichtpraktika nur entsprechend der jeweiligen Ausbildungsordnungen eingesetzt werden. Andernfalls können erhebliche Vergütungsnachforderungen drohen. Auch abseits von Pflichtpraktika sollte bei Praktikanten darauf geachtet werden, dass der Ausbildungscharakter bei deren Tätigkeit im Vordergrund steht. Werden sie hingegen wie vollwertige Arbeitnehmer eingesetzt, handelt es sich nicht mehr um ein Praktikum, sondern vielmehr um ein Arbeitsverhältnis.