Unbillige Weisungen müssen vom Arbeitnehmer nach Ansicht des 10. Senats nicht bis zu einer gerichtlichen Klärung vorläufig befolgt werden

BAG, Beschluss vom 14. Juni 2017 – 10 AZR 330/16 –

Nach Ansicht des 10. Senats des Bundesarbeitsgerichts muss ein Arbeitnehmer einer unbilligen Weisung seines Arbeitgebers nicht – auch nicht vorläufig bis zur gerichtlichen Klärung – Folge leisten. Anderer Ansicht ist bisher der 5. Senat in einer früheren Entscheidung.

Die Entscheidung

Der Kläger ist Immobilienkaufmann und war zuletzt bei der Beklagten am Standort Dortmund beschäftigt. Nachdem der Kläger im Jahr 2014 ein Kündigungsschutzverfahren gegen die Beklagte gewonnen hatte, lehnten die Mitarbeiter der Beklagte eine weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger ab. Daraufhin wies die Beklagte den Kläger an, ab dem 16. März 2015 seine Tätigkeit am Standort in Berlin aufzunehmen, da es eine Beschäftigungsmöglichkeit in Dortmund außerhalb seines bisherigen Teams nicht gebe.

Als der Kläger die Stelle nicht wie angewiesen antrat, wurde er wiederholt abgemahnt und schließlich, da er noch immer die Stelle nicht angetreten hatte, außerordentlich fristlos gekündigt.

Der Kläger wehrt sich gerichtlich gegen die Kündigung und die Abmahnung und begehrt die Feststellung, dass er nicht verpflichtet war, der Versetzung nach Berlin Folge zu leisten.

Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht gaben der Klage vollumfänglich statt. Die Versetzung war unbillig, die Abmahnungen daher rechtswidrig und mit ihr die darauf beruhende ausgesprochene Kündigung. Daraufhin legte die Beklagte Revision ein. Der zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts kann aus dem folgenden Grund derzeit jedoch noch nicht über die Revision der Beklagten entscheiden: Auch er ist wie die Vorinstanzen der Ansicht, dass die Weisung der Beklagten unbillig ist und der Kläger daher seine Tätigkeit nicht in Berlin antreten müsse. Auch nach Ansicht des Zehnten Senats wären also die Abmahnungen und die ausgesprochene Kündigung aus diesem Grund unwirksam. Allerdings hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts in einer Entscheidung vom 22. Februar 2012 – 5 AZR 249/11 vertreten, dass ein Arbeitnehmer auch einer unbilligen Weisung zunächst Folge zu leisten habe, bis die Unbilligkeit, und damit ihre Unwirksamkeit,  arbeitsgerichtlich rechtskräftig festgestellt worden ist.

Dem möchte der 10. Senat aber nicht folgen und fragt daher gemäß § 45 Abs. 3 ArbGG den Fünften Senat des Bundesarbeitsgerichts an, ob der Senat an seiner bisherigen Rechtsprechung festhält. Solange ruht das Verfahren.

Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung des 5. Senats aus dem Jahr 2012 ist seinerzeit auf große Kritik gestoßen, nicht zuletzt aufgrund des Wortlauts des § 315 Abs. 2 BGB, der unbillige Weisungen für unverbindlich erklärt.

In der Praxis führt dies Rechtsprechung des 5. Senats des BAG häufig zu unbilligen Ergebnissen und. Das Risiko der Billigkeit bzw. Unbilligkeit einer Weisung wird dabei vollständig dem Arbeitnehmer auferlegt. Dabei ließ sich das Bundesarbeitsgericht seinerseits durchaus auch von praktischen Erwägungen bei seiner Entscheidungsfindung leiten. Wichtige Arbeitsabläufe sollten durch ständige Weigerung der Arbeitnehmer aufgrund von ihnen als unbillig empfundenen Weisungen nicht gestört werden.  Jedoch führt dies im Gegenzug allerdings auch dazu, dass ein Arbeitnehmer äußerst  einschneidende Weisungen, wie beispielsweise die Versetzung an einen weit entfernten Arbeitsort, die also einen vollständigen Umzug einer ganzen Familie zur Folge haben können, zunächst bis zur vollständigen, Monate oder gar Jahre dauernden gerichtlichen Klärung nachkommen muss. Dies soll sogar in den Fällen gelten, in denen die Weisung offensichtlich nicht billigem Ermessen entspricht oder gar schikanöse Züge trug. Der Arbeitnehmer ist hiernach auf den vorläufigen Rechtsschutz angewiesen, der aber keinen verlässlichen Schutz für den Arbeitnehmer darstellt, da er von den Arbeitsgerichten in Versetzungsstreitigkeiten erfahrungsgemäß nur restriktiv gewährt wird.

Verschiedene Arbeitsgerichte haben die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts daher schlicht unberücksichtigt gelassen.

Es bleibt also abzuarten, wie der 5. Senat auf die Anfrage des 10. Senats Stellung nehmen wird. Hält er nicht an seiner Rechtsprechung fest, kann der 10. Senat über die Revision des Klägers entscheiden. Anderenfalls wird der 10. Senat gemäß § 45 Abs. 3 Arbeitsgerichtsgesetz den Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts zur abschließenden Klärung der Rechtsfrage anrufen.

(Quelle: Pressemitteilung Nr. 25/17 des Bundesarbeitsgerichts)