BAG, Urteil v. 10.2.2015 – 9 AZR 455/13 –
Kündigt ein Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos sowie hilfsweise ordentlich unter Wahrung der Kündigungsfrist und stellt er den Arbeitnehmer für den Fall der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung unter Anrechnung der Urlaubsansprüche von der Arbeitsleistung frei, kann er den Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers durch die Freistellung nur dann erfüllen, wenn er diesem die Urlaubsvergütung vor Antritt des Urlaubs zahlt oder vorbehaltlos zusagt.
Die Entscheidung
Der klagende Arbeitnehmer verlangte von seinem ehemaligen Arbeitgeber die Abgeltung noch offener Urlaubsansprüche. Das Arbeitsverhältnis war vom Arbeitgeber fristlos und hilfsweise ordentlich gekündigt worden. Das Kündigungsschreiben enthielt folgende Freistellungsregelung: „Im Falle der Wirksamkeit der hilfsweise fristgemäßen Kündigung werden Sie mit sofortiger Wirkung unter Anrechnung sämtlicher Urlaubs- und Überstundenansprüche unwiderruflich von der Erbringung Ihrer Arbeitsleistung freigestellt.“ Im Kündigungsrechtsstreit schlossen die Parteien einen Vergleich, in dem sie die wechselseitigen Ansprüche regelten.
Nachdem das Berufungsgericht der Klage stattgegeben hatte, war die Revision des Arbeitgebers vor dem Neunten Senat des BAG erfolgreich. Allerdings nur, weil die Parteien in dem vor dem Arbeitsgericht geschlossenen Vergleich ihre Ansprüche abschließend geregelt hatten. Denn der Anspruch des Klägers auf bezahlten Erholungsurlaub war nach Auffassung der Erfurter Richter vom Arbeitgeber mit der Freistellungserklärung im Kündigungsschreiben nicht erfüllt worden. Nach § 1 BUrlG setze die Erfüllung des Anspruchs auf Erholungsurlaub neben der Freistellung auch die Zahlung der Vergütung voraus. Deshalb gewähre ein Arbeitgeber durch die Freistellungserklärung in einem Kündigungsschreiben nur dann wirksam Urlaub, wenn er dem Arbeitnehmer die Urlaubsvergütung vor Antritt des Urlaubs zahlt oder vorbehaltlos zusagt.
Bedeutung für die Praxis
Diese Rechtsprechungsänderung des BAG hat die mit dem Ausspruch einer fristlosen Kündigung verbundenen Risiken für Arbeitgeber weiter erhöht. Nach bisheriger Rechtsprechung konnte Urlaub auch vorsorglich für den Fall gewährt werden, dass die ordentliche oder außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht auflöst (Urt. v. 14.8.2007 – 9 AZR 934/06). Nun setzt die vorsorgliche Urlaubsgewährung voraus, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Urlaubsvergütung vor Antritt des Urlaubs zahlt oder vorbehaltlos zusagt. Ob die Begründung des derzeit nur als Pressemitteilung vorliegenden Urteils noch Hinweise für wirksame Gestaltungsalternativen enthält, bleibt abzuwarten. Arbeitgebern ist vorerst im Falle noch offener Urlaubsansprüche anzuempfehlen, eine außerordentliche Kündigung nicht fristlos zu erklären, sondern den Kündigungstermin entsprechend des noch bestehenden Urlaubsanspruchs hinauszuschieben. Alternativ ist bei kurzen Kündigungsfristen angesichts der dargelegten Risiken zu überlegen, anstatt einer fristlosen Kündigung (nur) eine ordentliche Kündigung auszusprechen, um den Arbeitnehmer in der Kündigungsfrist wirksam unter Anrechnung offener Urlaubsansprüche freistellen zu können. Arbeitgebern ist daher – insbesondere auch aufgrund der engen zeitlichen Vorgaben bei einer fristlosen Kündigung – die frühzeitige Einholung von Rechtsrat zu empfehlen, um Gestaltungsmöglichkeiten im jeweiligen Einzelfall zu prüfen und wirtschaftliche Risiken zu minimieren.